Belinda Grace Gardner: Eröffnungsrede zur Ausstellung:
„Fragments of Night and Day. Eine Ausstellung von Jana Schumacher und Julian Terbuyken“

Galerie 10. Längengrad, Ballindamm 9, 20095 Hamburg am 27.2.2014

Auf dem Cover seines 1978 veröffentlichten Albums „Ambient 1 / Music for Airports“ definiert, Brian Eno sein Konzept der „Ambient Music“ als „Atmosphäre oder umgebenden Einfluss“. Es ist, seine Absicht, sagt er, „ostentativ (aber nicht exklusiv) Originalstücke für bestimmte Zeiten und, Situationen zu schaffen, die sich für eine Vielfalt von Stimmungen und Atmosphären eignen.“, Im Gegensatz zur Konservenmusik, die in Kaufhäusern vor sich hin plätschert und auf eine, Nivellierung „atmosphärischer Eigenheiten“ zielt, steigert „Ambient Music“, so Eno weiter, gerade diese Störmomente und „bewahrt die Unsicherheiten und Zweifel“ einer musikalischen, Komposition. „Ambient Music“, sagt er, „soll Ruhe auslösen und einen Gedankenraum eröffnen.“, Einen solchen Gedankenraum, und auch Gefühlsraum, hat Julian Terbuyken mit seinem, Soundscape in der Ausstellung produziert – ein kinetisches Klangenvironment, das atmosphärisch, mit Jana Schumachers Installation von Zeichnungen zusammenfließt: ein Ineinandergreifen von, Klang und schwebenden Resonanzkörpern, filigranen Strukturen auf Papier, subtilen Brüchen, Soundfragmenten und visuell-haptischen Zersplitterungen. Der Eindruck von zersprungener Zeit:, Im zerbrochenen Glasfundstück, das zum glitzernden Spiegel-Bild ungedeutet wurde, findet dieser, ein Echo.

Die leise, von subtilen Störungen durchwirkte Klanglandschaft, die Julian Terbuyken spezifisch, für Jana Schumachers grafische Arbeiten konzipiert hat, weitet einerseits den Raum, und zieht, den Betrachterblick hinaus in die urbane Außensphäre: Man empfindet eine Verlangsamung, der hektischen Betriebsamkeit der Stadt, die draußen vor dem Fenster vorbeitost. Und eine, atmosphärische Verbindung zum dahinter liegenden Wasser, das die Weite des Himmels fasst.
Andererseits, und dies ist das Paradox seiner Soundlandschaft, entsteht im Raum selbst eine Art, Parallelwelt, die den Blick, die physisch-gedankliche Erfahrung des Orts konzentriert, fokussiert, aber zugleich auch die prekäre Eigenschaft der hier interagierenden Bild- und Klangerlebnisse, betont und spürbar macht.

„Fragments of Night and Day“ – Bruchstücke von Tag und Nacht – ist die erste gemeinsam, realisierte Ausstellung von Jana Schumacher und Julian Terbuyken. Wobei beide schon mit, anderen Kooperationspartnern zusammengearbeitet haben. Künstlerin und Künstler treffen sich, in der besonderen Feinstofflichkeit ihrer Ansätze, in einer Bruchstückhaftigkeit und Anfälligkeit, die auf unterschiedliche Weise von beiden thematisiert wird, im subtilen Wechselspiel zwischen, Abstraktion und Figuration, und der Grenzverwischung zwischen den Genres und Medien.

Jana Schumacher, geboren 1983, studierte ebenso wie der 1986 geborene Julian Terbuyken an, der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Jana Schumacher hat dort Design, und Zeichnung, Julian Terbuyken Kommunikations- und Sounddesign studiert. Beide praktizieren, einen interdisziplinären künstlerischen Ansatz, bei dem verschiedene Ausdrucksformen und, Sinneswahrnehmungen synästhetisch ineinander greifen. Ein Verfahren, in dessen Verlauf, Klang zu Raum und Zeichnung zu Skulptur wird, Ungegenständliches in Gegenständlichkeit, kippt, und sich umgekehrt wieder in Abstraktion auflöst. Beide haben einen Bezug zum Tanz:, Jana Schumacher sieht ihre zeichnerische Arbeit als eine Art Tanz, als Erweiterung körperlicher, Handlung. Julian Terbuykens kinetische Klangskulpturen befinden sich selbst in kreisender, vibrierender Bewegung und hängen direkt mit der Arbeit des Künstlers als Musikproduzent und DJ, elektronischer Musik zusammen.

Zufall und Präzision: Der scheinbare Gegensatz zwischen offenem Ausgang und Absicht ist in, den Ansätzen beider ein wesentliches ästhetisches Mittel. Potenzielles Chaos und stringente, Komposition sind dabei entscheidende Spannungsmomente, die beiden Künstlern feinstens, austariert werden.

Die Arbeiten von Jana Schumacher sind, um einen Begriff aus der Dichtung, Malerei und Musik, der Romantik zu leihen, „Nachtstücke“, die aus dem Spiel von Licht und Schatten hervorgehen.

Sie erwecken den Eindruck als würden sie die unendlichen Dimensionen eines Sternenhimmels, die schwarzen Löcher des Universums, die Tiefen des Ozeans in Nuce bergen. Die kristallinen, Formen in ihren Zeichnungen aus der Serie „Balancing Acts“ oder ‚Balanceakte’ lassen wiederum, an die Fraktale des Mathematikers Benoît Mandelbrot denken – jene selbstähnlich strukturierten, künstlichen oder natürlichen Gebilde und geometrischen Muster, deren prominenteste, Manifestation das so genannte „Apfelmännchen“ der Chaostheorie ist.

Auch die „fraktalen“ Strukturen der Künstlerin oszillieren zwischen organisch und technoid, und scheinen geheimnisvollen Mustern zu folgen, die sich allerdings nicht so ohne weiteres, erschließen.

Die filigranen Strukturen erinnern an Kristalle, Sterne, scharfkantige Blüten und spacige, Spinnennetze, die sich in mysteriöser Systematik verzweigen, zusammentreffen, oder aber, in ebenjenem Titel gebenden Balanceakt, separat bleiben, sich eben gerade verfehlen, eigenständigen Organismen gleich: ornamentale Cluster, die sich dem rationalen Zugriff, entziehen, und zugleich wie die fremdartig mutieren Vergrößerungen kleinster Elemente der Natur, unter einem Elektronenmikroskop oder wie ferne, extraterrestrische Phänomene im All wirken.

Doch spielen sich letztlich alle figürlich-konkreten Assoziationen im Kopf des Betrachters, der, Betrachterin ab. Denn die Zeichnungen bewahren ihr Geheimnis und bleiben in ihrer Resistenz, abstrakt. Die Kompositionen aus besagter Serie der „Balancing Acts“ entstehen in einem, langsamen, meditativen Prozess mit der Tuschfeder. Sie entwickeln sich aus einem formalen, Grundvokabular heraus, das von der Künstlerin intuitiv weitergeführt wird und das einer ganz, eigenen Logik folgt.
In der Ausstellung werden die filigranen Zeichnungen dieser Serie Arbeiten gegenübergestellt, die, auf einem weiteren Hauptansatz der Künstlerin basieren. Die Zeichnungen der zweiten Gruppe, haben eine stärker haptische Anmutung und entstehen auf dem Boden in einem kombinierten, Verfahren aus Zeichnungs-, Frottage-, Abtragungs-, Polier-, Schleif- und Kratztechniken. Grafit, und Kohle wird dabei zu fast skulptural eingesetzten Materialien, in denen sich Spuren der, Bearbeitung und des jeweiligen Untergrunds abzeichnen.

Die derart bearbeiteten Blätter haben winzige Löcher und Verletzungen, was ihnen etwas, Hautartiges, Palimpsesthaftes verleiht. Die Künstlerin ritzt in die Zeichnungen hinein, das Papier, wird dabei zerrissen, zerfetzt, erhält Blessuren. Es werden immer wieder neue Grafit- und, Kohleschichten aufgetragen und entfernt: ein eher bildhauerisches Vorgehen. Die grundsätzlich, zarte Anmutung aller Arbeiten, die Jana Schumacher in den Raum stellt, wird indes auch hier –, trotz der zunächst vielleicht kompakter scheinenden Materialität – sichtbar. In einem bestimmten, Licht verwandelt sich die perforierte dunkle Fläche einer solchen Zeichnung sogar in einen, Sternenhimmel, in eine Tiefe ohne Grenzen.

Das Prekäre, das allen Balanceakten eigen ist, die potenzielle Gefahr des Absturzes, den, Schwebezustände per se in sich tragen, ist eine grundsätzliche visuelle Leitmelodie in Jana, Schumachers Arbeiten, die auf andere, eigene Weise im aktuellen mehrteiligen Soundscape von, Julian Terbuyken eine Fortsetzung findet. Die zeichnerischen und klanglichen Kompositionen, werden mit Fundstücken wie den schwebenden Flächen aus bearbeitetem, teils besprühtem, Blech, die zugleich als Resonanzkörper und als Raumskulpturen fungieren, buchstäblich zum, klingen gebracht.

Gefundenes, zerbrochenes Sicherheitsglas, das hier als Bild in Erscheinung tritt, führt das, Motiv des Fragmentarischen, Filigranen der Zeichnungen und des Klangs im dreidimensionalen, Objekt fort. Hier wird noch einmal das Zusammenwirken von Zufall und Absicht greifbar, das, den Kompositionsprozessen von Jana Schumacher und Julian Terbuyken gleichermaßen eigen, ist. Letzterer legt in seinen Klangskulpturen prinzipiell die jeweilige „Machart“ frei, was deren, provisorische, bewusst unfertige Anmutung unterstreicht. Das synästhetische Erleben, das in, diesem gemeinsam konzipierten Gesamtkunstwerk unseres elektronischen, digitalen, virtuellen, Zeitalters möglich wird, speist sich aus ebenjener Dynamik des Gesteuerten und des Spontanen, der Brüche zwischen Überlegung und Intuition.

Der „Gedankenraum“, den Brian Eno kraft seiner „Ambient Music“ zu generieren suchte, eröffnet, sich hier in der Ausstellung beim Blick in die Bilder hinein und beim spüren des Klangs, der als, unsichtbare Architektur die visuellen Ereignisse umgibt und sachte konterkariert. Während Jana, Schumacher auf der „Resonanzfläche“ des Zeichenblatts agiert und dort den Klang der Bilder, entstehen lässt, setzt Julian Terbuyken seine räumlichen Zeichen über das schwebende Objekt in, Schwingung.
Die „Bruchstücke von Tag und Nacht“, die hierbei zum Vorschein kommen, bleiben dabei in, austarierter Balance zwischen Wiedererkennbarkeit und Fremdartigkeit, Harmonie und Dissonanz, Schönheit und Störung, Versuch und Ergebnis. Nichts ist hier in Stein gemeißelt, alles ist im, Fluss: im sich Formieren oder Zerbrechen, im lauter und leiser werden, im An- und Absteigen der, Töne, im Zusammenziehen und Aufbrechen der Strukturen. Das Fragment ist der Grundbaustein, dieser Dialektik der Schwebezustände, aus denen Räume, Formen und Atmosphären erwachsen, akustisch-visuelle Erfahrungswelten, die zum genaueren Hinschauen und –hören auffordern.

© Belinda Grace Gardner, Hamburg